Wenig Tierbeobachtung, aber Hoffnung auf Beobachtung bisher unbekannter pataphysikalischer Wesen?

BRAINWAVE
Nicolas
Fri 21 Apr 2023 19:05

 

pos: 08:17.300 S 114:18.633 W (entre Galapagos et Marquises)

 

 

Das Meer hier draussen, mitten auf dem Südpazifik erscheint offenbar wahnsinnig leer zu sein, mal abgesehen vom gelegentlichen kleinen Kalmar oder fliegenden Fisch, den wir auf dem Deck finden. Auch sind derzeit zwei Möven in der Gegend, aber sie scheinen die Nähe der Brainwave nicht zu suchen. Trotzdem gelang es uns gestern, einen prachtvollen Thunfisch von etwa 7kg Gewicht zu fangen, den Denis in einem ersten Gang zu feinen Filets verarbeitete. Heute wird uns Nicolas feine Suschis zubereiten.

An vorgeschriebenem «Grosswild» wie Albatrosse, Delfine und Wale hat sich enttäuschender weise noch nichts sichten lassen, mal abgesehen von der Delfinschule bei Galapagos kurz nach dem Start. Als Neulinge in diesem Weltmeer hätten wir natürlich schon gerne den mittelpazifischen Walschmetterling gesehen, ein weiteres unserer, diesmal leider noch niemals beobachteten legendären pataphysikalischen Tiere, ganz im Sinn wie im Jahr 2015, als wir auf dem Lake Huron im Gewittersturm zur nächtlichen Geisterstunde den Präriewal beobachten konnten und voller Stolz das Privileg hatten, die bisher erste und einzige Sichtung zu machen (s. Bilder im Anhang).

Der Walschmetterling ist so leicht gebaut, dass er einen negativen Gleitwinkel hat, d.h. falls er im Flug einschläft und sich gar verschläft, dann steigt er immer weiter in die Höhe und landet zuletzt tiefgefroren in der Stratosphäre. Dem Vernehmen nach ist diese gewimmelt voll der tiefgefrorenen Viecher. Ansonsten landet er nur auf dem Rücken schlafender Wale, etwa so wie der irische Mönch St. Brendan auf seiner legendären Fahrt im Jahr 600, als er so einen Wal als Insel verkannte, anlandete und mit seinen Gefährten Cervelat brätelte. Ils sont fous, ces Irlandais, könnte man mit Obelix sagen.

Wie es aussieht, werden wir die ganzen drei Wochen nach Hiva Oa exklusiv auf Steuerbord–Bug verbringen, so dass wir unseren Genickwirbeln und Rückgrat in Hiva Oa ein bitter benötigtes Gegen – Workout gönnen müssen, auf dass wir nicht den Rest des Lebens mit Schlagseite nach Links herumgehen werden. Das wäre dann vielleicht so etwas wie ein »Gütezeichen» für Pazifik-Überquerer, im Alltag auf Dauer aber recht unpraktisch. Wenigstens muss man sich im normalen Alltag auf festem Land nicht jederzeit irgendwo festklammern, um nicht diagonal durch die Gegend gewirbelt zu werden. Hier haben wir einen Seegang von gegen 2m.

Die Route (s. Bild «Routeing») verläuft möglichst dauernd im Südost – Passat auf 5° – ca. 8° südlicher Breite entlang dem Äquator, normalerweise mit mittleren achterlichen Winden bei Temperaturen Wasser & Luft bei ca. 28°C. Dabei hilft uns der Süd-Äquatorialstrom mit etwa 0,5 bis 1kn, sofern sich der äquatoriale Gegenstrom nicht zu sehr nach Süden verschiebt. Bei leichter bis mittlerer Bewölkung gibt es gelegentlich etwas stärkere Böen, Gewitter selten, aber gelegentlich stärkere Regengüsse, die uns willkommen sind, um das Deck von Salz zu befreien. Einzelne Crewmitglieder schätzen sie als natürliche Dusche, die temperaturmässig durchaus angenehm ist. Alles in allem ein unaufgeregtes Segeln.

Bisher hat sich das Routenmodell bewährt und wir erwarten am Tag 9 die Hälfte der ca. 3’000nm zu schaffen. Im mittelfristigen Ausblick stehen etwas schwächere Winde an, aber man wird sehen, ob es bis dahin so bleiben wird. Es ist möglich, dass der sich offenbar vollziehende Wechsel von mehreren Jahren von La Nina (überdurchschnittlich kühl vor Südamerika) zu El Nino (überdurchschnittlich heiss) das System etwas aus der Balance bringen könnte. Bis dahin sollten wir allerdings in Hiva Oa eingetroffen sein.

 

20.4.2023        Daniel GIESBRECHT

 

*Anmerkung:   Pataphysikalische Erscheinungen

Pataphysik (französisch «Pataphysique» ein Wortspiel mit den homophonen Formulierungen patte à physique, pas ta physique und pâte à physique) ist ein absurdistisches Philosopenschaftskonzept des französischen Schriftstellers Alfred Jarry (1873–1907), das sich oftmals als nonsensische Parodie der Theoriebildungen und Methoden moderner Wissenschaft gibt.

Aus Kreisen pataphysischer Forschung wird darauf hingewiesen, dass man sich den mittelpazifischen Walschmetterling nicht zu sehr in der Art gewöhnlicher Feld-, Wald- und Wiesenschmetterlinge oder von Tag- und Nachtfaltern vorstellen sollte, sondern eher in der Art der Versuche von Theo Janssen http://youtu.be/HSKyHmjyrkA

 

 

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