Beitrag von Andreas; Mitsegler von Almere nach Brest

BRAINWAVE
Nicolas
Tue 3 Aug 2021 19:16
Navigatorisch anspruchsvoll

 

Der 500 Seemeilen (ca. 1'000 km) Auftakt von Brainwave von Amsterdam nach
Brest ist ein navigatorischer Leckerbissen und wohl eine der
anspruchsvolleren Etappe einer Weltumsegelung überhaupt. Es gilt
konzentriert Untiefen, starke Strömungen, intensiver Fischer-, Fähren- und
Frachtschiffsverkehr zu beachten und dazu, bei den häufigen Westwinden, noch
aufzukreuzen.

 

Ab Almere muss zunächst über den südlichen Teil des IJselmeeres - ein unter
dem Meeresspiegel liegender, untiefer See - auf einer Fahrrinne die Schleuse
zur Einfahrt nach Amsterdam angesteuert werden. Am Central Bahnhof vorbei
geht es dann für gut 20 km über den Nordsee-Kanal in die Schleusen von
IJmuiden und hinaus auf die Nordsee. Nun können die Segel gesetzt werden und
in südwestlicher Richtung geht es vorbei an Rotterdam und Antwerpen Richtung
Meerenge Ärmelkanal. Diese beiden Häfen gehören zu den grössten der Welt und
entsprechend rege ist der Frachtverkehr. Zu Dutzenden ankern die Frachter im
offenen Meer und warten auf einen Platz im Hafen zum entladen oder um neue
Fracht zu bunkern. Und laufend treffen neue Containerfrachter aus Asien ein
und versorgen Europa mit Gütern.

 

Die Frachter müssen zwingend sogenannte TSS-Rails (Strassen des «Traffic
Separation Scheme») folgen um den ein- und auslaufenden Schiffsverkehr in
und aus dem Ärmelkanal sicher zu bewältigen (bis zu 500 Schiffe pro Tag in
der Strasse von Dover). Dazwischen kämpfen Fischer mit ihren Netzen um einen
guten Fang und riesige, neue Windmühlenfelder versperren die freie Fahrt und
produzieren den Strom der Zukunft – sofern es Wind hat. Wassersportler sind
da für die Berufsschifffahrt eher lästig und entsprechend müssen Segler die
Rails in einem rechten Winkel queren um rasch möglichst wieder in ruhigere
Gewässer zu gelangen. Aufmerksamkeit und Vorsicht sind also gefragt.

 

Nach ca. 24 Stunden in der Strasse von Dover angekommen, gilt es zu
entscheiden ob südlich der Rails entlang der französischen Küste oder auf
der nördlichen Route via englische Südküste weitergesegelt werden soll. Da
die Windvorhersage nord-westliche Winde ankündigten, entschieden wir uns für
England mit der Absicht ab Plymouth dann direkt die Nordspitze der Bretagne
anzusteuern. Leider ging dieser Plan nur bis zur Isle of Wight auf – der
Wind drehte auf Süd-West, dann auf West. Aufkreuzen im Kanal ist eher
holperig, da die starken Tidenströme kurze, steile Wellen bilden. Ebbt die
Strömung, d.h. sie schiebt das Boot nach West, erfreut man sich am trotzdem
schnellen Weggewinn nach Luv. Strömt die Flut vom Atlantik ein, hat man das
Gefühl an Ort zu segeln - Geduld und Stehvermögen sind gefragt. 

 

Angesicht des starken Westwindes (5 bis 6 Bft) drehten wir bereits vor
Weymouth ab und querten den Kanal zurück zum Kontinent um via die englischen
Kanalinseln Alderney und Guernsey bei Paimpol am Ende des dritten Tages an
die Nordküste der Bretagne zu gelangen. Bei abflauenden Winden und im
Wellenschutz der Küste galt es dann nur noch Leuchtfeuer, Tonnen, Untiefen
und Inseln in sicherem Abstand zu passieren um via Canal du Four bei
mitlaufender Strömung in Brest einzulaufen. Fazit: Crew müde, aber Test
bestanden !

 

Mast- und Schotbruch Brainwave und Crew, bon vent et un grand merci à
Georges et Nicolas.

 

Andreas Giesbrecht