2. Juni - Endlich, der Wind, der Wind das himmlische K ind!

Niki.schmidt.warc
Mon 3 Jun 2019 00:01

34:39.200N 53:09.400W

Gestern Abend um ca. 22h frischt der Wind auf. Bald sind es mal 10 Knoten und sogar aus der richtigen Richtung. Die Aranui ist bald mit 5.5 oder sogar 6.5 Knoten unterwegs. Und so geht es die ganze Nacht hindurch. Ich habe meine Wache von 00-02h und der Wind weht immer noch. Eine wunderbare Nacht. Der Morgen ist dann um so überraschender. Der Wind nimmt zu und als ich erwache um 08h setzen wir erst einmal den Gennacker. Und dann geht die Post ab: Wir brausen mit 7-8 Knoten dahin. Der Gennacker steht wunderschön und zieht uns mit Kurs 50 Grad Richtung Azoren. Wir müssen immer noch etwas nördlich halten, damit wir nicht allzu stark ins Hochdruckgebiet reinfahren, welches auf unserer Steuerbordseite ist, aber der generelle Kurs ist bereits – Azoren.

Den ganzen Tag über weht der Wind mit 12-15 Knoten und wir machen Weg gut, verglichen mit den letzten Tagen – und noch viel besser, wir verbrauchen keinen Diesel und müssen der Motorenmusik nicht immer zuhören. Es ist herrlich warm und wir verbringen den Tag mit Lesen oder einfach auf’s Meer schauen, dem Zischen und Gurgeln zuhören und natürlich ausnahmsweise auch mit Essen. Barbara zaubert wieder mal einen ‘Auberginen-, Kartoffel- und sonst noch ein paar Zutaten... Gratin’ auf den Tisch. Zum Dessert gibt es frischgebackene kleine Küchlein.

Aber eben, es kann ja nicht so einfach weitergehen. Etwa um 11h vibriert der Hydrogenerator plötzlich unglaublich stark. Es hat wieder mal Seegras am Schaft und diesmal eben auch am Propeller. Das Gras am Propeller lässt sich nicht lösen, solange dieser im Wasser ist und mit voller Tourenzahl dreht und vibriert extrem stark. Das Seegras am Schaft kann man mit dem Bootshaken runterdrücken und dann ist es normalerweise mit der Strömung weg. Wir beschliessen den Hydrogenerator raufzunehmen und ‘mit weniger’ sauberer Energieproduktion durch dieses Gebiet zu fahren. Dazu müssen wir aber fast stillstehen, denn ein Sicherungsbolzen muss rausgezogen werden um den Hydrogenerator hinaufzukippen. Unter Gennacker und 8 Knoten Geschwindigkeit unmöglich: Wir beschliessen den Gennacker zu bergen und mit dem Motor retour zufahren. Das sollte reichen um die Kraft des Grossegels zu kompensieren. Mit voller Kraft retour steht die Aranui dann ziemlich still und der Bolzen kommt raus. Zum Glück haben wir noch die Solarzellen, welche auch 8-10 A liefern bei 24 Volt. Unser Verlust an Stromproduktion hält sich also in Grenzen. Erstaunlich ist, dass diese Solarzellen immer noch soviel Leistung liefern. Mir wurde damals gesagt, dass wenn ich die flexiblen Zellen einfach so aufs Bimini montiere, die Lebensdauer höchstens ein paar Wochen sein wird, weil die Panele bei Windeinfall zu flattern beginnen und bald mal brechen werden. Aus den paar Wochen sind nun 20 Monate Härtetest geworden und obwohl die oberste Schicht Kunststoff durch die Sonne abgeblättert oder sonstwie zerstört wurde, liefern die Panele noch 80% der Nominalleistung. Irgendwie erinnert mich das an die Zeit vor 30 Jahren, als mir zwei Professoren der ETH Zürich prophezeiten, dass meine Solarzellen, aufgeklebt mit doppelseitigem Klebeband auf meinem Solarmobil das Rennen vom Bodensee nach Genf nie überstehen würden (wir wurden damals 5. in der Königskategorie – die ETH schied aus...) – ich realisiere, dass ich abgeschweift bin, aber manchmal hat man hier Zeit und Musse für soche Flashbacks...

Der Wind ist immer noch da, es ist jetzt Abend geworden und die Dämmerung bricht ein. Wir müssen jetzt beschliessen, ob wir den Gennacker durch die Nacht hindurch segeln werden, oder  jetzt vorsichtshalber kleinere Segel aufziehen. Wenn wir den Gennacker oben lassen heisst das bei unerwartetem Windanstieg, dass alle mitten in der Nacht aufstehen müssen um ihn zu bergen. Das Manöver nachts braucht die ganze Crew. Wir beschliessen das Risiko einzugehen (aufzustehen). Der Wind ist seit etwa 3h bei 10-11 Knoten. Ich gehe jetzt schlafen...