Dumia Log 27.11.2021

Dumia
Mon 29 Nov 2021 16:34

Samstag, 27. November 2021, 23:00 Uhr Ortszeit

 

Alle sind wohlauf.

Schuldzuweisungen wegen vereinzelter und zudem nicht nachhaltiger Unannehmlichkeiten bei der Verdauung von Franz-Josefs Bordverpflegung werden fairerweise unterdrückt.

Bei 12 kn Wind und rund 6 kn Fahrt sind wir mit der Genua auf Backbord auf direktem Kurs Richtung Mindelo auf der Insel Sao Vicente. Als sich der Wind im Lauf der Nacht zunehmend Richtung Achtern dreht, gehen wir auf einen mehr westlichen Kurs, um nicht kreuzen zu müssen und Segelmanöver während der Dunkelheit zu vermeiden. Frühmorgens gegen 06:30 Uhr wechseln wir die Gardinen und segeln mit dem Tradewind-Setup der Dumia (zwei Spinnacker-Bäume mit der Genua auf Steuer- und der Fock auf Backbord) weiter. Aufgrund einer deutlich kräftiger werdenden Welle war die Nacht vergleichsweise unruhig.

Deswegen und wegen einer kleineren Magenverstimmung hat heute selbst Tom keine Lust auf’s Angeln. Unabgelenkt sitzt er am Ausguck und sichtet um 06:55 Uhr als Erster Land. Der Skipper hisst der Ordnung halber die gelbe Quarantäneflagge. Als wir gegen Mittag in den Hafen von Mindelo einlaufen, sind wir auf die Stunde genau seit sechs Tagen unterwegs. Die waren hinsichtlich der äußeren Bedingungen noch gut verträglich angenehm. Nuanciert anders sieht das unser Skipper: „Eher Ententeich als Atlantik“. Na dann prost auf das, was uns noch bevorsteht!  

Bevor wir festmachen, wollen wir zur Tankstelle. Dort liegt ein großer Katamaran; wir sind als nächste an der Reihe und drehen Warteschleifen um die im Hafenbecken vor Anker liegenden Schiffe. In mancherlei Hinsicht erinnert die Szenerie an einen Schiffsfriedhof: Wer rostet als nächster durch, wer legt sich als nächster quer? Top Kandidat einem bereits auf der Seite liegenden Frachter zu folgen ist die „Iron Bull“, die selbst mehr Rost angelegt hat als der Schrott, den sie transportiert. Nach jeder Warteschleife hoffen wir, dass der Katamaran seinen Tankplatz verlässt. Aber der liegt seelenruhig da und macht keine Anstalten, sich zu bewegen. Auf Zuruf erhalten wir auch keine Antwort, wie lange es noch dauern wird. Diese Antwort erhalten wir dann nach rund anderthalb Stunden, als die Damen des Boots vom Shopping zurückkommen und wieder an Bord gehen.

Schon seit einiger Zeit sind Telefon- und Datennetze wieder erreichbar. Alle sind eifrig dabei, Datenguthaben zu kaufen, die aufgelaufenen E-Mails zu laden und telefonisch Kontakt nach Hause aufzunehmen.

Endlich am Liegeplatz bemühen sich Hans-Peter und Tom um die Einreiseformalien. Mit Pässen und Impfzertifikaten ausgestattet, machen sie sich auf dem Weg, erst zur Marina, dann zur Port Authority, deren Büro sie „in einem Hinterzimmer in einem Hinterhof“ ausfindig machen. Alle sind sehr hilfsbereit und Hans-Peter ist voll des Lobes über die freundliche Aufnahme.

Auf der Dumia ist derweil Duschtag. Wir fühlen uns wie am samstäglichen Badetag unserer Kindheit in den 50er und 60er Jahren. Lediglich die gemeinsame Badewanne bleibt uns erspart. Auch die Waschmaschine wird angeworfen. Dazu kursiert der altbekannte Bundeswehrwitz: Heute wird Wäsche gewechselt: Franz-Josef wechselt mit Gottfried, Gottfried mit Tom, usw. Rechnerisch müssten wir bei 6 Personen im Lauf der Reise sechsmal wechseln, bis jeder wieder in seiner eigenen Wäsche steckt.

Dann fällt uns Wasser in den Duschen und Waschbecken auf, das nicht abläuft. Hans-Peter verschwindet zur Ursachenanalyse wieder im Schiffsbauch. Die Frage, wie viele Pumpen es auf der Dumia noch gibt, die ausfallen können, liegt jedem auf der Zunge, wird jedoch nicht gestellt.

Am frühen Abend steht Hendrik auf der Mole, mit guter Laune und der Ersatzpumpe für den Water Maker im Gepäck. Beide werden herzlich begrüßt.

Wir waren eine Woche abgeschnitten von den aktuellen Nachrichten und Hendrik hat viel zu berichten. Die Besetzung der neuen Bundesregierung ist Hauptthema. Einhellig wird bedauert, dass Anton Hofreiter nicht berücksichtigt wurde, um unser Land mit Stil und überlegenem Intellekt zu repräsentieren.

Schlechte Nachrichten erreichen uns auch von einem bevorstehenden Generalstreik in Martinique, unserem Zielhafen. Das Bundesaußenministerium hat offensichtlich eine Reisewarnung ausgesprochen. Wir müssen unter Umständen umdisponieren.

Dann geht’s mit Hendriks Papieren in die zweite Runde der Anmeldeformalien. Fünf Personen, die auf einer Segelyacht ankommen, und sechs die damit abfahren: eine komplexe Situation, die die örtliche Bürokratie da zu bewältigen hat. Die scheint aber alles im Griff zu haben – bis wir zum Abendessen an Land gehen wollen und von einem jungen Mann aufgehalten werden. Er trägt T-Shirt und Fischerhosen (das sind die, wo man nicht weiß, ob es lange Hosen sind, die zu kurz geraten sind, oder kurze Hosen, die zu lang geraten sind) und behauptet, er wäre der Chef der Einreisebehörde. Er bräuchte alle Pässe, um unsere morgige Abreise abzusegnen. Es würde auch nichts kosten. Wie auch immer – der Skipper macht den langen Weg zurück zur Dumia, um unsere Papiere abzuholen.

Ich unterhalte mich derweilen mit ihm, um ihn bei guter Laune zu halten. Er taut langsam auf und erzählt, dass er aus Deutschland nur Angela Merkel kennt. Mich wundert das ein wenig, denn in vergleichbaren Situationen stand an erster Stelle der bekanntesten Deutschen immer Robert Lewandowski, allenfalls noch Manuel Neuer.

Die nächste Frage gilt der Einwohnerzahl der Kapverden. Er meint rund „fifty“, was mir ein bisschen wenig erscheint. Etwa fifty thousand? „No no, five hundred“. Also five hundred thousand? „No no, five and (er zählt an den Fingern) one two three zeros“. Aha, five thousand? “No no, five million”. Are you sure? “Ah no, five hundred thousand million.” Jetzt bin ich doch ein wenig verdutzt; er lässt sich von dieser Zahl aber nicht mehr abbringen. Wir einigen uns also auf five hundred thousand million - immerhin das rund 60-fache der bisher bekannten Erdbevölkerung – und er scheint zufrieden.

Dann erzählt er noch, dass auf der Inselrepublik nur 29 Corona-Fälle bekannt seien - relativ zur Gesamtbevölkerung natürlich eine vernachlässigbare Größe.   

Jetzt ist Hans-Peter mit den Pässen zurück und ab geht’s zum Büro im Hinterzimmer im Hinterhof, um die Ausreisestempel ordnungsgemäß einzutragen.

Wir finden ein ordentliches Restaurant mit dezenter Live-Musik einer heimischen Sängerin, deren Eltern am Nachbartisch mächtig stolz auf ihre begabte Tochter sind. Der Kellner antwortet auf meine Frage, was er denn empfehlen könne: „Er selber esse nichts von dem, was da auf der Karte steht, aber wenn es denn sein muss, empfehle er Bohneneintopf, das Nationalgericht der Kapverden.“ Die Küche ist trotzdem sehr bekömmlich. Als für Hans-Peter dann auch noch „Das Mädchen von Ipanema“  - kreolisch interpretiert – erklingt, ist der Abend perfekt.

Zurück auf dem Boot können wir erstmals wieder eine ganze Nacht durchzuschlafen.

Wir wünschen auch Euch einen entspannten Schlaf. Seid unbesorgt, es geht uns gut.

 

Herzliche Grüße,

Eure Crew von der Dumia!

gw