Dumia Log 7.12.2021

Dumia
Wed 8 Dec 2021 18:25

Dienstag, 07.12.2021, 23:00 Uhr

 

Alle sind wohlauf.

Langsam beginnen wir, die Stunden und nicht mehr die Tage bis zu unserer Ankunft in St. Lucia zu zählen. Um den bevorstehenden Abschied von der Dumia zu erleichtern, beschäftigt sich der heutige Logbuch-Eintrag daher hauptsächlich mit all den Unannehmlichkeiten und Zumutungen, denen wir auf dieser Reise ausgesetzt sind. Morgen folgen die Ergebnisse einer Umfrage unter den Crew-Mitgliedern, worauf diese sich nach ihrer Rückkehr am meisten freuen. Sollte darin ein kleiner Fingerzeig für unsere Blogleser(-innen) versteckt sein, so ist dies durchaus beabsichtigt.

Zunächst noch kurz zum aktuellen Tagesgeschehen:

Hans-Peter, der zu Beginn unseres Törns Hygiene- und Reinlichkeitsstandards wie in einem OP-Saal durchsetzen wollte, hat sich schon vor längerer Zeit in das Unvermeidliche gefügt und akzeptiert inzwischen Zustände, die im gängigen Sprachgebrauch ein Restaurant zur Spelunke abwerten. Warum dies trotz peinlichster Bemühungen – hervorzuheben ist hier insbesondere Franz-Josef in der Kombüse – so weit kommen konnte, ist leicht erklärt: Knappe Wasservorräte und ein permanent schwankender Untergrund. Gerade ist Hendrik wieder mit einer vollen Tasse Kaffee, der bis an die Decke spritzte, durch die Messe geflogen. Auch wenn uns unsere Ehefrauen stubenrein abgerichtet haben - gegen derart widrige Umstände kann sogar jahrelanges Training nichts ausrichten.

Lange Rede kurzer Sinn: Hans-Peter und Rolf haben sich intensiv – und heute erfolgreich - um eine professionelle Reinigungstruppe bemüht, die nach unserer Ankunft in Martinique die Dumia in einen aseptisch spiegelblanken Reinraum verwandeln wird.

Unser Ankunftsziel Donnerstag bleibt weiterhin realistisch. Nach Anbruch der Dunkelheit hat der Wind sogar nochmals auf bis zu 35 kn aufgefrischt, und uns in der Spitze mit 12 kn pro Stunde Richtung Westen geblasen.

Damit endlich zur Liste der Unannehmlichkeiten und Zumutungen (in zufälliger Reihenfolge), denen wir auf dieser Überfahrt ausgesetzt sind:

Nr. 1      Leben unter Erdbeben-Bedingungen (Stärke 6 bis 8 auf der nach oben offenen Richter-Skala)

Nr. 2      Leben im GULAG (jede Nacht 4 Stunden Schlafentzug)

Nr. 3      Leben mit einem Mann neben dir im Bett (igitt! vor allem wenn das Boot permanent rollt)

Nr. 4      Leben unter strengsten Quarantänebedingungen (auch ein kurzer Bordausflug ist schwer vorstellbar)

Nr. 5      Leben in einem Messie-Haushalt (die anderen lassen alles ‘rumliegen)

Nr. 6      Leben ohne Bundesliga (wie soll sich der Mann jetzt entspannen?)

Nr. 7      Leben ohne tägliche ausgiebige Dusche (wie soll man da wach werden?)

Nr. 8      Leben in der Zwangsjacke (nennt sich hier Rettungsweste)

Nr. 9      Leben an der Nabelschnur (an Bord auf Schritt und Tritt eingepickt)

Nr. 10   Leben eingeschmiert wie eine alternde Diva (mit Litern von Sonnenmilch, zum Erhalt unseres jugendlichen Teints)

Nr. 11   Leben unter der Knute eines Skippers (gottlob wird die Dumia gesegelt und nicht gerudert)

Nr. 12   Leben wie bei der Bundeswehr (immer funktioniert etwas nicht)

Nr. 13   Leben wie auf einem Fischkutter (sorry, Tom)

Nr. 14   Leben wie in einer Geisterbahn (es rumpelt und pumpelt in einem fort)

Nr. 15   Leben wie ein Schmuddelkind (alles ein bisschen speckig und verschwitzt)

Nr. 16   Leben auf der Kriechspur (Hurra! Wir fahren 10 statt 8 Knoten.)

Nr. 17   Leben als Kampf gegen Schweißfüße (3 Wochen in immer den gleichen Bootsschuhen)

Nr. 18   Leben als Selbstgeißelung (mit Kopfwunden oder geschwollenen Zehen; man eckt überall an)

Nr. 19   Leben in gnadenloser Abhängigkeit (von Wind und Wetter - und der Bordtechnik)

Nr. 20   Leben ohne Gute Nacht-Kuss (wurde diskussionslos abgeschmettert)

Die Liste könnte man sicherlich fortsetzen, sollte aber in der vorliegenden Form ausreichen, um den Entwöhnungsprozess von der Dumia und ihrer Besatzung in Gang zu setzen.

Disclaimer: Wer von einem Segelurlaub träumt, soll sich bitte von dieser Liste nicht abhalten lassen. Die Argumente sind über den Einzelfall hinaus nicht anwendbar. Der Küste entlang von Insel zu Insel oder von Bucht zu Bucht zu schippern ist zweifellos ein reines Vergnügen, das sich jeder antun möge.

Liebe Leser*, sicherlich seid ihr nach der Lektüre dieses Logbuch-Eintrags zu dem Schluss gelangt, dass es Euch im Moment doch relativ gut geht. Die Welt ist so viel leichter zu ertragen, wenn man nicht auf die guckt, denen es (noch) besser geht, sondern auf die, die es nicht so leicht haben.

So grüßt Euch, von weit unten,

Eure Crew von der Dumia

gw

 * bzw. „Lesende“, „Leser und Leserinnen“ oder „Leserinnen und Leser“, „Leser(-innen)“, „Leser*innen“,